Rüdiger Ladwig ist ein feinsinniger Beobachter. Einer, der durch die Welt geht und Dinge entdeckt, die im Wust des Alltags oft übersehen werden. Oder die verschwinden, weil ihre Zeit gekommen ist. Die ohne Funktion daliegen, übriggeblieben sind, als Relikte verweisen auf eine vergangene Ära. Aber sie sind da, und sie sind Teil des Lebens. So entstehen seine Fotos. Er nennt sie Bodenbeobachtungen. Sie fördern Verblichenes und Aussterbendes zu Tage: Telefonzellen, Leuchtschriften, alte Schilder. Mit soziologisch motiviertem Blick dokumentiert er auf diesen Streifzügen, die er seit 2018 gezielt unternimmt, auch auffällige Parolen, Murals und Graffitis, die im urbanen Dschungel oft wirken wie anonyme Schreie, humorvolle Geisterdialoge oder sehnsüchtiges Liebesschmachten. Die Menschen, die er mitunter auf seinen fotografischen Erkundungen hier und da vor die Linse nimmt, könnten die heimlichen Absender dieser Worte sein – oder die Besitzer der Gegenstände, die er ablichtet. Boxer, Türsteher, Kirmesbeschicker, Straßenmusiker, Fußballfans. Ladwig erzählt in seiner Schwarzweißfotografie eine Geschichte ohne Plot, schafft ein loses Narrativ, öffnet mit den Bildern Türen, deren brachliegende Folgeräume vom Betrachter selbst betreten werden müssen: Was ist hier passiert? Wer hat das geschrieben? Wo führt diese Spur hin? Die Bilder treten in einen Dialog mit den Betrachtern, fordern auf, ihnen nachzugehen.
Rüdiger Ladwig, 1964 in Hamburg geboren, ist heute vor allem bekannt als Kopf der Plattenfirma und Künstleragentur Trocadero. Seine große Faszination für Schwarzweißfotografie aber prägt seine Wahrnehmung schon in Kindheit und Jugend, wird zur Partizipationsmöglichkeit, als in den 1980er Jahren in den Nachwehen des Punks eine lebendige neue Musikszene entsteht. So lichtet er mit einer geliehenen Minolta Spiegelreflexkamera in Hamburg, Berlin, Düsseldorf und London Zeitgeistprotagonisten ab, die damals den Ton angeben: The Cure, Fehlfarben, Siouxsie & The Banshees, DAF, The Fall, X Mal Deutschland, Pere Ubu, Abwärts, The Jam, Malaria, Iggy Pop, Einstürzende Neubauten (…). Seit 2018 fotografiert er in seinen Wohnsitzen Hamburg und München regelmäßig, was ihm vor die Linse kommt, trägt die Kamera aber auch stets griffbereit bei sich, wenn er durch seine Arbeit in der Musikbranche unterwegs ist. Die Prägung durch die Fotografie in den 1980er Jahren macht sich auch in seinen gegenwärtigen Arbeiten bemerkbar, so ist sein Schaffen bestimmt von einer lebendigen Ruhe, ohne Farbe, ohne das Grelle: im Moment verweilend, mit einem ausgeprägten Stilbewusstsein für die Ästhetik und Atmosphäre der einzelnen Situation, die er verewigt. All diese Fotografien sind bis heute unveröffentlicht und nie gezeigt worden.